es war eine bundesweit wohl ziemlich einmalige Abstimmung, die am vergangenen Freitag und am Montag beim Luftfahrtzulieferer Premium Aerotec (PAG) in Varel stattgefunden hat. Die komplette rund 1200-köpfige Belegschaft (genauer gesagt die IG-Metall-Mitglieder, was in dem friesländischen Werk aber nahezu das Gleiche ist) durfte über die Zukunft ihres Standorts abstimmen: Verbleib im Airbus-Konzern oder Verkauf an den ambitionierten Zulieferer Mubea aus dem Sauerland. Viel mehr betriebliche Mitbestimmung geht nicht.
Zu "verdanken" ist diese bemerkenswerte Aktion vor allem den Mitarbeitern selbst und ihren Vertretern, dem Betriebsrat und der IG Metall Küste. Stellte der Airbus-Konzern anfangs eine Ausgliederung und einen Verkauf der Einzelteilfertigung um das Werk in Varel als praktisch alternativlos dar, pochten Betriebsrat und Gewerkschaft von Beginn an darauf, dass es auch eine Alternativlösung und eine aus ihrer Sicht bessere Zukunftsperspektive für den Standort geben müsse. Auf beiden Seiten wurde mit harten Bandagen gekämpft, bis hin zu Warnstreiks.
Am Ende hat es nicht nur den gewünschten Alternativvorschlag gegeben, sondern sogar noch die eigene Entscheidung der IG Metall, gekoppelt an ein Votum ihrer Mitglieder im Werk, wo das Werk künftig bleiben soll. Und beide Optionen konnten sich sehen lassen: Ein Verbleib bei Airbus ist zwar mit einem Restrukturierungsprogramm und Einschnitten verbunden, betriebsbedingte Kündigungen sind aber bis 2030 ausgeschlossen. Und Interessent Mubea hatte sogar mit einem Kündigungsschutz bis 2033, dem Aufbau von 300 bis 400 Vollzeitstellen in Varel und Investitionen von 150 Millionen Euro geworben.
Ob das klare Votum der Mitarbeiter, die mit 74,5 Prozent für einen Verbleib im Airbus-Konzern gestimmt haben, die richtige Entscheidung war (oder ob damit am Ende doch eher eine große Chance für den Standort verpasst wurde), wird erst die Zukunft zeigen. Auf jeden Fall zeigt das Beispiel Premium Aerotec aber, was sich mit einer starken und zugleich konstruktiven Mitarbeitervertretung, einem engagierten Betriebsrat und einem hohen gewerkschaftlichen Organisationsgrad erreichen lässt. Nicht die schlechteste Botschaft mit Blick auf den bevorstehenden Tag der Arbeit am 1. Mai.
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Herzlich, Ihr
Jörg Schürmeyer
Wirtschaftsredakteur
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ZUR PERSON Jörg Schürmeyer beschäftigt sich gern mit den großen und kleinen Unternehmen aus der Region. Besonders interessieren den bekennenden Fan von Werder Bremen und Statistiken jeglicher Art die Energiewirtschaft, die Finanzwelt und der Arbeitsmarkt.
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